Ein Interview über Glauben und Kirche, Zweifel und Politik
Interview der GNZ mit Lektor Alexander Weigand vom 19. November 2022
Biebergemünd. Dass Alexander Weigand mit seinen 22 Jahren der jüngste Lektor in der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck sein würde, wäre für den Roßbacher vor vier Jahren noch undenkbar gewesen. Damals war er noch nicht einmal Mitglied der evangelischen Kirche. Den Religionsunterricht in der Schule besuchte er mehr oder weniger halbherzig, der Glauben an Gott spielte in seinem_Leben keine Rolle. Das änderte sich erst, als er am Beruflichen Gymnasium einen neuen Religionslehrer bekam, der ihn schließlich im_Abigottesdienst taufen sollte. Heute ist Alexander Weigand nicht nur Mitglied im Kirchenvorstand der evangelischen_Kirchengemeinde in Bieber und stellvertretendes Mitglied der Landessynode, vor wenigen Tagen ist er auch ins Amt des Lektors eingeführt worden. Der 22-Jährige ist für die CDU zudem Mitglied der Biebergemünder Gemeindevertretung. Im Interview mit GNZ-Redakteur David Meister spricht Weigand über seinen nicht alltäglichen Lebensweg vom ungläubigen Teenager zum praktizierenden Christen, über die Schwierigkeiten, sich zum Glauben zu bekennen, über eigene Zweifel, die Sinnsuche von Jugendlichen und Ehrenämter in Kirche und Politik.
GNZ: Herr Weigand, Sie sind 22 Jahre jung, wurden erst vor drei Jahren getauft. Wie kommt es, dass ein junger Mann wie Sie sonntagmorgens in der Kirche Gottesdienste hält, während seine Freunde vermutlich gerade erst aus der Disco heimkommen?
Alexander Weigand: (lacht) Für mich ist das kein Widerspruch. Ich bin auch Samstagabends mit meinen Freunden in Frankfurt unterwegs und manchmal endet das auch mit einem Kater. Aber gleichzeitig ist es für mich eben wichtig, sonntags in der Kirche zu sein und als Lektor den Gottesdienst mitgestalten zu können – weil ich das gerne mache und es mich erfüllt. Andere 22-Jährige liegen sonntags mit ihrem Kater bis mittags im Bett.
Das soll es geben . . .
Ja, und das ist vollkommen in Ordnung und mache ich selbst oft genug. Wir sind eben junge Erwachsene. Aber mir ist diese Stunde am Sonntagmorgen eben wichtig. Die nehme ich mir ganz bewusst. Das ist ist für mich auch ein Ausgleich zum Stress im Alltag. Eine Stunde, ganz ohne Handy, in Ruhe in der Kirche, wo ich neue Impulse für die Woche bekomme. Das klingt vielleicht abgedroschen, aber so ist es. Vor drei, vier Jahren hätte ich mir das selbst nicht vorstellen können. Aber dann habe ich diesen Wandel durchgemacht, von einem eher ungläubigen Menschen zu einem gläubigen Protestanten. Und ich muss sagen, dass ich als gläubiger Mensch heute deutlich glücklicher bin, weil mir der Glaube sehr viel gibt
Wie kam es überhaupt zu diesem angesprochenen Wandel zum gläubigen evangelischen Christen?
Ich war schon mein Leben lang an Geschichte interessiert, insbesondere am Mittelalter. In der Auseinandersetzung mit dieser Epoche spielt die Kirche natürlich eine wichtige Rolle. Ein tieferes – auch theologisches Interesse – weckte dann aber Pfarrer Dr. Michael Lapp. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Religion keine große Rolle gespielt hat. Meine Mutter kommt aus der ehemaligen DDR, mein Vater ist auch nicht der typische Kirchgänger. Als Kind bin ich nicht getauft worden; ich sollte diese Entscheidung einmal selbst treffen können. In der Schule habe ich den Religionsunterricht mehr oder weniger halbherzig besucht. Dann habe ich nach meinem Wechsel ans Berufliche Gymnasium in Gelnhausen Michael Lapp kennengelernt, der dort mein Relilehrer wurde. Er hat mich wahnsinnig geprägt und irgendwann gesagt: „Dich taufe ich noch!“
Und das hat er dann ja auch getan…
Ja, während des Abigottesdienst in Bad Orb gemeinsam mit Pfarrer i.R. Günter Kaltschnee. Für mich war klar, dass das der richtige Anlass war. Gleichzeitig wurde ich in dem Gottesdienst auch konfimiert, sodass die Kirchengemeinde in Bieber benachrichtigt wurde, dass es ein neues Kirchenmitglied gibt, der mit 19 Jahren grade frisch getauft wurde. Da hat Sabine Ruf (langjährige Pfarrerin in Bieber, Anm. d. Red.) dann ein Näschen bewiesen und ließ mich fragen, ob ich nicht Lust hätte, im Kirchenvorstand mitzuarbeiten (lacht). So nahm die Geschichte ihre Lauf.
Nicht gerade der typische Lebensweg eines 22-Jährigen, oder?
(lacht) Ja und Nein, würde ich sagen. Natürlich sitzen hier sonntags in der Kirche nicht die 20-Jährigen. Aber es gibt viele junge Menschen, die in diesem Alter suchend sind, die Zweifel und Fragen haben – das sieht man ja auch am Zulauf zu verschiedenen religiösen und spirituellen Angeboten. Gleichzeitig sagen diese jungen Menschen aber auch, dass ihnen die evangelische Kirche oder auch die Insititution Kirche an sich nichts geben kann. Hier sehe ich grundsätzlich großes Potenzial – dafür muss sich aber auch die Kirche ändern.
Diese Suche von jungen Menschen nach_Antworten, die Sie angesprochen haben: Stellen Sie das auch in Ihrem Freundeskreis fest? Sprechen Sie mit Ihren Freunden heute auch über diese Themen, über Gott und den eigenen Glauben?
Inzwischen ja, weil meine Freunde wissen, dass ich eben diese Fragen für mich beantwortet habe. Natürlich kann auch ich nicht klar beantworten, warum Gott beispielsweise großes Leid und großen Schmerz auf der Welt zulässt. Aber ich erlebe in Gesprächen mit jungen Menschen und meinen Freunden immer wieder, dass viele von ihnen auch an diesem Scheideweg stehen, an dem ich damals gestanden habe. Einen Weg zwischen dem Glauben und dem Zweifel an Gott. Ich werden zum Beispiel oft gefragt, woran ich im Alltag merke, dass es Gott gibt.
Viele junge Menschen stehen auch an diesem Scheideweg stehen, an dem ich gestanden habe. Einen Weg zwischen dem Glauben und dem Zweifel an Gott.
Alexander Weigand
Und woran merken Sie das?
An ganz verschiedenen Dingen. Meistens sind es die kleinen Momente im Leben, in denen man merkt, dass da jemand ist. Schauen Sie sich meine Eltern an: Meine Mutter in der ehemaligen DDR, mein Vater im kleinen Roßbach. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese zwei Menschen überhaupt kennenlernen? Und trotzdem ist es so gekommen. Meine Mutter sagt, es sei schlicht Zufall gewesen. Ich würde eher sagen, dass da jemand seine Finger im Spiel hatte. Oder nehmen Sie meine Bekanntschaft mit Michael Lapp. Manche würden jetzt sagen, dass auch das Zufall war. Ich sage, es war Gottes Fügung. Aber generell: Die vielen kleinen Freuden den Tag über, die vielen Bekanntschaften und Gespräche, im Gebet – da ist Gott mir persönlich nah.
In vielen Bereichen erleben wir seit einiger Zeit eine Rückbesinnung auf vermeintlich alte Werte und Traditionen, auch bei jungen Menschen. Gilt das auch für die Religion?
Ich glaube, ja. Das sieht man zum Beispiel am Erfolg der Freikirchen, die einen enormen Zulauf erfahren, gerade von jungen Menschen – und das nicht nur in den USA. Diese Rückbesinnung gibt es sicherlich. Das liegt wahrscheinlich auch an der großen Unsicherheit, die es leider in vielen Bereichen gibt. Es kommt so vieles zusammen in der Welt und viele Menschen verstehen die Zusammenhänge nicht mehr. Deshalb erleben wir wahrscheinlich diese Rückkehr traditioneller Werte, weil die Menschen sagen: „Bei unseren Großeltern hat es doch auch funktioniert, sogar nach den Weltkriegen. Die hatten ein einfaches, aber glückliches Leben.“ Natürlich gibt es auch junge Menschen, die andere Ziele im Leben haben und die Welt sehen möchten – zurecht! Das habe ich auch in meinem Freundeskreis erlebt. Da wollten einige einfach nur weg aus Biebergemünd – und heute suchen sie plötzlich Wohnungen mit ihren Partnern in unserer Gegend. Ob auch das Religiöse zurückkommt, da bin ich mir nicht sicher. In einem gewissen Sinne vielleicht. Aber diese Volksfrömmigkeit, die es in der Zeit unserer Großeltern noch gegeben hat, die ist vorbei. Das ist auch eine der Herausforderungen, vor der die Kirche heutzutage steht. In den Gemeinden sterben viele Mitglieder weg, gleichzeitig kommen nur wenige nach.
Wie war das bei Ihnen persönlich? Hatten Sie nie den Drang, aus dem kleinen Dorf fliehen zu wollen?
Doch, definitiv. Gerade in der achten, neunten Klasse. Da hatte ich eine Phase, in der es mir nicht gut ging. Klassische Themen für einen Jugendlichen eben. Da wollte ich hier einfach raus, meinen Horizont erweitern. Ich wollte damals unbedingt in die USA, das Jetset-Leben erleben, solche Dinge eben. (lacht) Dann kam die Zeit in der Oberstufe, in der ich gemerkt habe, dass es auch hier zuhause Spaß machen kann. Ich habe gemerkt, wie wichtig es mir beispielsweise ist, Oma und Opa zu besuchen, mit ihnen Kaffee zu trinken und in Gespräch zu kommen. Diese Gemeinschaft – das gibt mir viel. Und es tut mir gut, zu wissen, dass meine Familie schon seit Jahrhunderten hier zuhause ist. Wenn ich heute hier weg müsste, wäre das sehr schwer für mich. Vielleicht wird das irgendwann unumgänglich sein. Aber eigentlich will ich hier alt werden. (lacht)
Sie haben bekannte Probleme vieler Kirchengemeinden angesprochen. Was muss Kirche, was müssen die Kirchengemeinden tun, gerade auf dem Land, um für junge Menschen attraktiver zu werden?
(überlegt lange) Puh, wenn ich da ein Patentrezept hätte. Ich glaube, es ist erstmal viel wichtiger, mit jungen Menschen darüber zu sprechen, wofür der christliche Glaube hilfreich sein kann. Für mich ist Gott wie eine Art Schutzmantel, der mich umgibt. Erstmal geht es gar nicht so sehr um die Insitution Kirche, sondern mehr um den Glauben an sich. Wie kann der evangelische Glauben Menschen helfen, über Trauer, Verlust und Angst hinwegzukommen? Wie kann die Kirche jungen Menschen einen Ort bieten, an dem sie ein Gefühl des gesellschaftlichen Miteinanders und Zusammenhalt erfahren? Die Kirche hat so viele Aufgaben und zugleich Möglichkeiten, einen realistischen Mehrwert für eine pluralistische Gesellschaft zu bieten. Spiritualität ist nach wie vor ein gefragtes Thema und Menschen jeden Alters sind auf der geistigen Suche – nutzen wir diese Chance und bieten unsere Lösungsvorschläge an. Für die Kirche, gerade für die evangelische Kirche, ist es meiner Meinung nach wichtig zu zeigen: Wir sind hier. Wir sind für euch da. Und eben nicht nur die Alten sind hier, sondern auch die jungen Leute. Die muss man aber auch zeigen.
Sie haben Gott als eine Art Schutzmantel beschrieben. Wenn man so etwas als 22-jähriger Mann in seinem Freundeskreis sagt, wird man da heutzutage schräg angeschaut?
Mitunter natürlich. Viele meiner Freunde haben mich als jemanden kennengelernt, der gar nichts mit Glauben und der Kirche zu tun hatte. Und plötzlich waren da kirchliche Themen in meiner Instagram-Story. Da haben die sich sicherlich gefragt, ob da jemand gestorben ist oder sonst etwas. Ehrlich gesagt habe ich das Thema anfangs auch etwas runtergespielt, weil da auch eine gewisse Scham war und ich mich ertappt gefühlt habe. Als junger Mensch zu sagen, ich glaube an Gott, da habe ich mich anfangs geschämt, mich dazu zu bekennen, dass da oben etwas oder jemand ist. Irgendwann aber lernt man, dazu zu stehen. Ich glaube, es ist auch nochmal etwas anderes, ob jemand als Kind getauft wurde und dann irgendwann wieder zum Glauben findet oder ob jemand wie ich quasi erst als junger Erwachsener Gott entdeckt hat. Inzwischen wissen das natürlich alle meine Freunde und gehen teilweise auch ganz bewusst auf mich zu, um mit mir über bestimmte Themen zu sprechen.
Fällt es Ihnen leicht, über solch persönliche, ja teilweise intime, Dinge zu sprechen?
Ich glaube, das ist grundsätzlich ein Problem in Deutschland, in den deutschen Kirchen. Vielen Menschen fällt es wahnsinnig schwer, über ihren Glauben zu reden. Das war bei mir anfangs nicht anders. Egal ob es alte oder junge Leute sind: Viele wissen nicht genau, wie sie in dieses Thema einsteigen soll, weil Glauben und Religion heute etwas sehr Privates ist und kein Thema für die Öffentlichkeit darstellt. Das hat Vor- und Nachteile.
Viele Menschen wissen nicht genau, wie sie in dieses Thema einsteigen sollen, weil Glauben und Religion heute etwas sehr Privates ist und kein Thema für die Öffentlichkeit darstellt.
Alexander Weigand
Müsste Kirche, müsste der Glauben also wieder öffentlicher werden?
Müssen klingt immer so missionarisch, das mag ich nicht so. (lacht) Aber ich finde schon, dass wir als evangelische Kirche teilweise die falschen Schwerpunkte setzen und mit den falschen Botschaften rausgehen. In der katholischen Kirche ist das ein bisschen anders, weil es über 2000 Jahre gewachsen ist. Da gibt es einen klaren Faden. Bei uns ist das nicht so deutlich, weil die evangelische Kirche in meinen Augen ein bisschen zu sehr eine Form des Kulturchristentums angenommen hat. Ich finde, am Ende des Tages sind wir eine Glaubensgemeinschaft. Und da sollte man auch den Glauben nach vorne stellen. Manchmal habe ich bei der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland, Anm. d. Red.) das Gefühl, dass vor allem die große Weltpolitik im Zentrum steht und nicht die Fragen, die die Menschen ganz konkret vor Ort beschäftigen. Es gibt hier bei uns viele Probleme, auf die die Kirche Antworten geben könnte. Wir müssen nicht immer die große Weltpolitik bespielen.
Sie wünschen sich also eine lautere, eine selbstbewusstere evangelische Kirche?
Ja, definitiv. Viele Themen in der evangelischen Kirche werden einfach abgenickt, weil man schon damit zufrieden ist, überhaupt noch wahrgenommen zu werden, statt darauf zu pochen, wofür die evangelische Kirche überhaupt selbst steht. Welche Position haben wir als Protestanten zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen? Wofür braucht es Kirche im 21. Jahrhundert? Ein gutes Beispiel ist für mich die kirchliche Hochzeit von Lindner (Bundesfinanzminister Christian Lindner, Anm. d. Red.) auf Sylt, obwohl weder er noch seine Frau Mitglied der Kirche sind. Ich finde, dass das nicht geht. Wenn man in einer Kirche heiraten will, sollte man sich auch zu ihr bekennen. Wenn sich die evangelische Kirche immer dazu degradieren lässt, dass man alles von ihr bekommt, obwohl man kein Mitglied ist, dann verkommen wir zu einem Selbstbedienungsladen für alle möglichen Dinge. Und dann fragen sich irgendwann auch unsere Mitglieder zu recht, welchen Mehrwert sie überhaupt davon haben, Kirchenmitglied zu sein und Steuern zu zahlen. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich finde, wir müssen als evangelische Kirche klar sagen, wofür wir stehen. Nehmen wir ein anderes Thema: Es gibt so viel Elend in deutschen Städten. Dennoch wird der Blick immer auf die weite Welt gerichtet. Mit jedem Schritt etwas gutes tun. Meiner Meinung nach gibt es ganz andere Themen, die wir klar herausstellen und auch streitbare Positionen deutlich machen sollten. Man muss die Kirche wahrnehmen können in gesellschaftlichen Diskussionen, aber auch bei ganz konkreten Problemen, die die Menschen vor Ort betreffen.
Nochmal zurück von der Kirche an sich zu Ihnen als Person: Gibt es bei bei Ihnen trotz Ihres Bekenntnisses zum Glauben und zur Kirche manchmal noch Momente, in denen Sie zweifeln, an Ihrem Glauben, an Gott, an der Kirche?
Da unterscheide ich mich wahrscheinlich nicht von anderen gläubigen Menschen. Bei vielen schlimmen Dingen, die in der Welt passieren, frage ich mich natürlich, wie das zusammengeht, wenn ich am nächsten Tag im Gottesdienst vom liebenden Gott erzähle. Da habe ich natürlich Zweifel. Für mich gehören diese Zweifel aber auch zum Christsein dazu. Als Christ muss man zweifeln und dennoch auf das Gute hoffen. Mal ist die Welt heller, mal dunkler. Aber am Ende gibt es das Licht und es wird gut werden – trotz allen Widrigkeiten.
Und Zweifel an der Kirche selbst?
Da differenziere ich gerne etwas. Mit der Kirche an sich habe ich manchmal auch meine Probleme. Auch mit manchen Dingen in der EKD stimme ich nicht immer überein. Aber hier vor Ort in Bieber, hier macht es mir sehr viel Spaß in der Gemeinde. Das ist mein Antrieb. Leider ist es auch in der Kirche häufig so wie in der Politik: Oben wird etwas verzapft und unten müssen wir es ausbaden. Wenn wieder mal jemand aus der Kirche austritt, weil er sich über irgendein übergeordnetes Thema geärgert hat, müssen wir hier vor Ort damit klar kommen. Dabei haben die Menschen meistens gar kein Problem mit ihrer Kirche und der Gemeinde vor Ort. Die Kirchen sind in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber, ohne ihre soziale Arbeit würde vieles nicht funktionieren. Aber, wie schon gesagt, fehlt mir manchmal die klare Botschaft, wofür wir als Kirche stehen. Ich würde mir wünschen, dass Kirche häufiger klar macht, warum es gut ist, zu glauben, warum es gut ist, Mitglied in der evangelischen Kirche zu sein. Stattdessen holen wir zum tausendsten Mal das gleiche Thema aus der Kiste, obwohl das gar nicht das ist, was die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit interessiert. Aber: Trotz einzelnen Differenzen ist die EKD, meine Landeskirche und die Gemeinde vor Ort meine Heimat.
Ich würde mir wünschen, dass Kirche häufiger klar macht, warum es gut ist, zu glauben, warum es gut ist, Mitglied in der evangelischen Kirche zu sein.
Alexander Weigand
Sie haben eben gesagt, dass sich manche Dinge in Kirche und Politik ähneln. Nun sind Sie nicht nur in der Kirche aktiv, sondern auch Gemeindevertreter in Biebergemünd. Was kam bei Ihnen zuerst, das C für christlich in der CDU oder das C für christlich in der Kirche?
Zuerst war mein Eintritt in die Junge Union im Jahr 2018. Etwas später, 2019, bin ich dann nach der Landtagswahl in Thüringen in die CDU eingetreten. Im Juni 2019 wurde ich getauft. Es gab durchaus Parallen.
Der Eintritt in die CDU hatte also nichts mit dem „Christlich“ im Namen zu tun?
Nicht in erster Linie. Heute sehe ich das anders. Heute kommt für mich auch wegen diesem Thema keine andere Partei in Frage. Für mich sind die christlichen Werte eben sehr wichtig, und da gibt es für mich nur eine Partei, die das glaubhaft vertritt. Aber auch in der Politik habe ich einen ähnlichen Sinneswandel erlebt wie beim Glauben. 2017 wäre ich zum Beispiel fast in die Linkspartei eingetreten.
Das ist allerdings ein ziemlicher Sinneswandel. War das Ausdruck eines jugendlichen Protests oder wieso die Linkspartei?
Das weniger. Ich hatte 2017 tatsächlich alle Parteiprogramme zur Bundestagswahl gelesen. Dann habe ich aussortiert und die Linkspartei blieb unter anderem übrig. Noch heute habe ich den Mitgliedsantrag zuhause liegen. Als ich das meiner Mutter erzählt habe, wäre ich fast enterbt worden. (lacht) Nicht zuletzt durch die realitätsferne Politik der Linkspartei im Ukraine-Krieg bin ich aber froh darüber, dass diese in der politischen Bedeutungslosigkeit versinkt. Aber auch hier in Biebergemünd war die CDU für mich sehr naheliegend. Viele Fraktionskollegen sind in der Kirche aktiv. Das passt einfach. Und auf Bundesebene schaue ich schon, wie sich die CDU zu christlichen Themen und den Kirchen positioniert. Bei anderen Parteien vermisse ich das etwas.
Und da fühlen Sie sich heute auch noch gut aufgehoben?
Stand jetzt, ja. Natürlich gibt es immer mal Themen, bei denen man nicht so mitgehen kann. Das gibt es wohl in jeder Partei. Zu 95 Prozent gehe ich aber bei allen Themen und Stellungnahmen der CDU mit.
Mit 22 Jahren sind Sie noch jung. Aber was wäre, wenn Sie sich einmal zwischen Kirche und Politik entscheiden müssten?
Oh Gott! (überlegt lange) Auch heute gibt es manchmal die Situation, dass mir Einiges zu viel wird. Es gibt Phasen, da sind es eher kirchliche Themen, dann wieder eher politische Themen, die mich beschäftigen. Es gibt vieles, was ich in der politischen Gemeinde verändern will, aber eben auch in der Kirchengemeinde. Das gehört für mich beides zusammen, auch weil sich viele Themen gut kombinieren lassen und in Biebergemünd eine gute Zusammenarbeit existiert. Deshalb könnte ich mich nicht für eines der beiden Felder entscheiden.
Kirche und Politik ähneln sich noch in einem weiteren Punkt: Junge Menschen sieht man dort eigentlich selten. In der Biebergemünder Politik ist das anders, gerade in der CDU. Wie schafft es die CDU hier, so viele junge Menschen ins politische Ehrenamt zu bringen?
Ich denke, da können wir die Brücke zu einem Thema schlagen, dass wir schon hatten: Die Rückbesinnung. Viele junge Leute hier ticken ähnlich wie ich. Die leben gerne in Biebergemünd, wollen das auch in Zukunft tun und Dinge verändern. Zur Kommunalwahl 2021 wurden die Vertreter der JU Biebergemünd dann gefragt, ob wir uns noch mehr einbringen wollen. Das war für uns selbstverständlich. In der Fraktion ist das ein gutes Zusammenspiel zwischen der alten Garde und jungen Köpfen, man verfolgt dieselben Ziele aus verschiedenen Sichtweisen. 60 Prozent der Fraktion sind JU-Mitglieder, das macht schon etwas aus. Natürlich haben wir in Biebergemünd auch finanzielle Rahmenbedingungen, die es leichter machen, Dinge zu gestalten. Aber ich denke, die Rückbesinnung auf die eigene Heimat macht für viele in der Fraktion einen großen Teil der Motiviation aus. Dankbar zu sein, hier leben zu dürfen und Möglichkeiten zu haben, unsere Gemeinde mitgestalten und der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu können. Das gilt in der Politik, aber auch in der Kirchengemeinde. Uns stehen als Jugend viele Türen offen, wir sollten diese Möglichkeiten auch nutzen.
Das Interview führte David Meister (GNZ).
