Ökumenischer Pilgerweg auf den Spuren der Bieberer Glocken
Pressebericht der Gelnhäuser Neue Zeitung (Autor: Heribert Grob)
Biebergemünd-Bieber (hg). Ganz in der Tradition der Pilgerwege, die alle drei Jahre im Geist der Bieberer Ökumene stattfinden, machten sich rund 50 Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden von Bieber auf einen besonderen Spaziergang und folgten dem Klang der Bieberer Glocken.
Mit acht Glocken und einem besonderen Geläut besitzt die kleine Spessartgemeinde ein Herausstellungsmerkmal, kann sie es doch mit der Glockendichte bezogen auf die Einwohner locker mit der von Rom aufnehmen. Mit der Geschichte der Bieberer Glocken hat sich insbesondere Niklas Grob beschäftigt, der sich mittlerweile mit seiner Leidenschaft für Glocken auch den Ruf als Glockendoktor erworben hat.
Glocken gibt es schon seit über 5000 Jahren. Entstanden sind sie in China, wo sie in buddhistischen Klöstern eine Funktion fanden. Damals noch aus Eisenblech geschmiedet und musikalisch mehr oder weniger an verrostete Dachrinnen erinnernd, brachten im 6. Jahrhundert irische Wandermönche die Glocken zu Klöstern in ganz Europa. Hier breiteten sie sich rasch aus und wurden als Signal zu den Gottesdiensten schon bald fester Bestandteil des klösterlichen Lebens. Den Höhepunkt erreichte die hohe Kunst des Glockengießens im 15. Jahrhundert. Spätestens mit dem Guss der „Gloriosa“ für den Erfurter Dom zeigte der berühmte niederländische Glockengießer Gerhardus van Wou im Jahre 1497, dass Glocken die klingende Verbindung zwischen Himmel und Erde sind.
Ganz so alt sind die Glocken der vier Bieberer Kirchen dann doch nicht; Kriegswirren haben den uralten Kirchengeläuten oft den Garaus gemacht. Ihr Geläut verstummte jäh, sie mussten abmontiert werden, wurden eingeschmolzen, in verschiedenen Kriegen eingesetzt und dann statt göttlichem ein teuflisches Werk verrichten. Dennoch in drei der vier Bieberer Kirche kann in diesen Tagen ein besonders Jubiläum gefeiert werden, denn hier hängen Glocken, welche die Wirren des Krieges überdauert haben und im Jahr 2020 ihren 100. Geburtstag feierten. Sie hängen in der Oberen Bieberer Laurentiuskirche, der Unteren Kirche und in der Burgbergkapelle.
Die erste Station des Pilgerweges führte hinauf auf den Burgberg zur Mauritiuskapelle, wo die kleinste der Bieberer Glocken ein eher einsames Dasein führt. Das kleine Glöckchen wird nur zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten und Messfeiern auf dem Burgberg geläutet. Und jetzt durfte es zum ökumenischen Pilgerweg seine eher schwache Stimme ertönen lassen. Der Küster der Kirchengemeinde und Glockendoktor Niklas Grob präsentierte den Anwesenden, wie in einzelnen Kirchen bis heute per Hand geläutet wird.
Pfarrer Ryszard Bojdo begrüßte die Pilgergemeinde auf dem Burgberg, wo der Glockenspaziergang mit einem gemeinsamen Lied und einem Gebet begann. „Wo Menschen sich verbinden, den Hass überwinden, da berühren sich Himmel und Erde!“ Tatsächlich ist der Burgberg mit seiner Kapelle so ein Ort, wo sich Himmel und Erde berühren und wo die Vorfahren sich mit einer prächtig ausgestatteten Kirche, die in Vorzeiten und bis heute zahlreiche Wallfahrer anzieht, ein Stückchen Himmel auf die Erde holten.
Von der Burgbergkapelle führte der Weg an zwei Wegkreuzen vorbei zur katholischen Pfarrkirche Mariae Geburt. Hier hängen vier gusseiserne Glocken im Kirchturm, die kurz nach dem 2. Weltkrieg angeschafft wurden. Der damalige Pfarrer Henkel war sehr glockenbegeistert und setzte sich mit einem wuchtigen Geläut gegen den damaligen Kirchenvorstand durch. Die Glocken waren völlig überdimensioniert für den Kirchturm und man musste das Mauerwerk aufbrechen, damit man die größte Glocke überhaupt in den Glockenstuhl hineinbekam, wiegt sie immerhin 2 Tonnen und 650 kg, erklärt Glockenexperte Grob. Weiter ging der Weg durch den Wiesengrund, wo ein kurzer Stopp gemacht wurde. Von hier konnte man gut das komplette Geläut der katholischen Kirche, der evangelischen Unteren Kirche und der Laurentiuskirche hören – das gemeinhin als „Bieberer Dorfgeläut“ bekannte Zusammenspiel aller Bieberer Glocken. Während Niklas Grob die Glocken im katholischen Kirchturm mit einer Handyapp in Bewegung versetzte – „ich kann die sogar von Mallorca aus vom Liegestuhl anschalten“ –, klingelte Kirchenvorstehener Martin Logsch mit dem Handy in der Unteren Kirche an, um den Startschuss für das gemeinsame Geläut zu geben. Ein beeindruckendes Klangerlebnis, das man nicht alle Tage zu hören bekommt, denn die Bieberer Glocken sind ganz im Zeichen der Ökumene aufeinander abgestimmt. „Ich freue mich auch immer, wenn ich alle Glocken zusammen hören kann. Das ist Bieber, da bin ich zuhause“, kommentierte Martin Logsch das mächtige Geläut.
In der Unteren Kirch begrüßte dann Alexander Weigand mit der Erklärung, dass „diese Kirche ist im 18. Jahrhundert als reformatorische Kirche erbaut worden und deshalb auch sehr spartanisch eingerichtet! Umso eindrucksvoller finde ich das Glockengeläut!“
Wie vielerorts war nach dem Krieg die Kasse der Kirchengemeinde nicht besonders gut gefüllt und Bronzeglocken sehr teuer, so kam das Angebot der Glockegießerei Rincker aus Sinn, Gussstahlglocken herzustellen, gerade recht. In der Firma Buderus fand man einen kompetenten Fachbetrieb für die Schmelze und den Stahlguss. Die Kooperation der Beiden blieb am Ende recht erfolglos, nur knapp 500 Exemplare verließen die Wetzlarer Werkshallen von denen drei in den Bieberer Kirchtürmen hängen. Die beiden Größeren im Wehrturm der Laurentiuskirche, während das Kleinste der Instrumente im Dachreiter der Unteren Kirche installiert wurde. Bedauerlicherweise kam die kleinste Glocke einen halben Ton zu hoch aus dem Guss, doch nicht nur im Ton war die kleinste Glocke misslungen, auch ihr trockener Ton und kratziger Klang sorgte offenbar damals schon für Kritik. „Die mittlerweile seltene gewordenen Buderus-Stahlglocken gelten auch heute noch als musikalisch äußerst speziell, da sich ihr Teiltonaufbau stark von heutigen Maßstäben unterscheidet“, erklärt Niklas Grob. Jedoch sei nicht zuletzt deswegen der etwas dämonische Klang dieser Glocken unverwechselbar und in Fachkreisen werden diese Buderus Glocken als „klingende Gullideckel“ bezeichnet, erklärte Grob.
Mit dem Glockenklang der Unteren Kirche führte dann der Weg zur Oberen Kirche. Die vormalige lutherische Laurentiuskirche und heutige Friedhofs- und Evenkirche der evangelischen Kirchengemeinde aus dem 12. Jahrhundert hat einen besonderen Charme.
„Im gemeinsamen Geläut mit den beiden Stahlglocken der Laurentiuskirche wird die skurrile Melodie auch heute noch besonders deutlich. Das gemeinsame Läuten beider evangelischen Kirchen in Bieber ist an Ungewöhnlichkeit wohl kaum zu überbieten. Somit erklingt über den Dächern von Bieber ein ganz besonderes Geläut, dessen Tonfolge wohl einmalig in ganz Deutschland ist. Trotz mancher klanglicher Defizite besitzt das Plenum aller Glocken eine ganz charakteristische, melancholische, aber auch berührende Wirkung. Nicht von allen Geläuten kann man behaupten, so einzigartig und unverwechselbar zu sein“, begeistert sich Glockenexperte Niklas Grob und gab dieses Interesse an die Pilger weiter.
Im Anschluss luden die beiden Kirchengemeinden alle Besucher zu Kaffee und gespendetem Kuchen auf dem Vorplatz der Laurentiuskirche ein, um den Glockenspaziergang am Sonntagnachmittag gemeinsam ausklingen zu lassen.
Ein kurzer und auf der Social Media-Plattform „Instagram“ veröffentlichte Clip des Nachmittages können Sie HIER finden.